Graeder, Hans

1919 - 1998

Eigenwillig und experimentierfreudig: Hans Graeder brachte einen Hauch der großen weiten Welt in die Quadratestadt und war gleichzeitig Integrationsfigur in der Kunstszene. Als Graeder zum ersten Mal 1947 in der Kunsthalle Mannheim mit einer Ausstellung an die Öffentlichkeit tritt, fällt er durch seine zeichnerische Virtuosität auf. Heinz Fuchs bescheinigt ihm 1965 die verblüffende Fähigkeit, Eindrücke nicht nur zeichnerisch und malerisch überzeugend fixieren zu können, sondern in ihnen auch einen ausgeprägten Blick für das Motivische zu beweisen.

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Biografisches

Jugend

Hans Graeder ist am 15.07.1919 in Mannheim geboren. Der Vater ist Kaufmann, der älteste Bruder Hermann ist 1915 geboren, sein jüngerer Bruder Helmut 1922, seine Schwester Gertrude 1920.


Als Junge beim Boxen. Foto: Marchivum/ NL Graeder

Neben dem Zeichnen ist das Boxen eine weitere Leidenschaft von ihm. Max Schmeling ist sein großes Ideal. In den 1930er Jahren nimmt er an vielen Wettkämpfen teil.

Die Härte des Boxens prägt nicht nur sein Leben, sondern definitiv auch seine Kunst. In den 1980er Jahren zu einem Vergleich zwischen dem Boxen und seiner Kunst befragt, antwortet er: "In der Kunst ist es nicht viel anders als im Ring."

Nach acht Jahren Volksschule beginnt er 1934 eine vierjährige Ausbildung zum Lithografen in Mannheim und arbeitet im Anschluss als Geselle in der Lithografie- und Steindruckerei Thomas Seitz in S 6, 27.

Zeit des Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg

Hans Graeders Biografie und vor allem sein künstlerisches Arbeiten ist nicht ohne die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs zu verstehen. Das private Fotoalbum der Familie im Nachlass wird dabei zum Seismografen einer allmählich einsetzenden realistischeren Wahrnehmung und verschwindenden Euphorie.


Blick in das Fotoalbum der Familie: Hans Graeder 1940. Foto: Marchivum/ NL Graeder

1939 wird er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, 1940 zum Kriegseinsatz nach Ostrowo/Polen abkommandiert. 1943/44 ist er verwundet für einige Zeit in Mannheim und besucht die Freie Akademie Mannheim. Ein Versuch, einem erneuten Kriegseinsatz durch Freistellung zu entgehen, scheitert. Er wird nach Frankreich abkommandiert und kommt 1945 in Kriegsgefangenschaft in Marseille. 1946 kehrt er zurück nach Mannheim.

Für Graeder ist nun eindeutig klar, dass er Künstler werden will und er schafft es, im Sommersemester 1946 ein Stipendium an der Akademie München zu bekommen. Mit Unterstützung der Kunsthalle und der Stadt Mannheim versucht er, vergeblich, an der Hochschule der Bildenden Künste in Karlsruhe ein Stipendium und einen Studienplatz zu bekommen.

USA

Im Mai 1953 übersiedelt Graeder mit seiner Frau Anita, die er 1952 geheiratet hat, und seiner einjährigen Tochter in die USA. In Rockford/Illinois, eineinhalb Stunden westlich von Chicago entfernt, wagt er den Neuanfang.


Hans Graeder mit seiner ersten Frau in Rockford / Illinois. Foto: Marchivum NL Graeder

Um den Lebensunterhalt zu sichern und um die Sprache zu lernen, arbeitet er zunächst in einer Eisengießerei, später auch als Boxer. Aber sein Ziel bleibt, sich als Künstler selbständig zu machen. 1955 hat er in Rockford seine erste Ausstellung. Die harte Arbeit in der Eisengießerei prägt die Formensprache seiner "Eisenbilder" – auf deren Oberfläche bemalte Figuren aus gegossenem Eisen kleben.

Nachts zieht er durch Kneipen und Restaurants und zeichnet Porträts. 1958 wird er amerikanischer Staatsbürger, 1959 zieht er nach Los Angeles, Kalifornien, 1959 nach Phoenix, Arizona.

Mit Wandgemälden verdient Hans Graeder viele Jahre seinen Unterhalt in den USA:

  1. Erotische Szenen aus Pompeji für den berühmten Nachtclub Ciro‘s auf dem Sunset Boulevard, Hollywood
  2. Patriotisches aus der Geschichte der USA – Die Ankunft der Mayflower für das Hotel Ocean House in San Diego
  3. Ein Wandmosaik mit einer Trapper-Szene unter Bäumen im Del Webb House in Phoenix
  4. Szenen aus der biblischen Geschichte in einer katholischen Kirche in Rockford

Graeder - Wandarbeiten USA

Seine solide Ausbildung als Lithograf und seine zeichnerische Begabung sind sein Kapital. Keine Auftragsarbeit ist ihm zu banal. Er bedient jeden Geschmack der Auftraggeber, immer in ganz unterschiedlichem Stil und unterschiedlicher Technik.

Zurück in Mannheim

Weil Hans Graeder durch Heinz Fuchs, den damaligen Kunsthallendirektor, die Möglichkeit bekommt, in der Kunsthalle Mannheim auszustellen, kommt er 1964 zurück nach Mannheim. Die amerikanische Staatsbürgerschaft behält er. Seine Ehe ist geschieden.

Mit Verve stürzt er sich in das Kunstleben der Stadt und engagiert sich in der Kulturpolitik Mannheims. Und er findet auch eine neue Liebe: Gisela Neidig. Er stirbt am 25.02. 1998 in Mannheim.

Werkphasen von Hans Graeder

Frühwerk

Beides – die Härte des Berufs und die Härte des Boxens – prägten seine Formensprache. Das Motiv in seinem Frühwerk ist fast immer der Mensch, auch in seiner Abwesenheit. So entstehen Bilder mit leeren Tischen und leeren Stühlen und lassen in der Abwesenheit der Menschen die menschlichen Bezüge nur noch intensiver erscheinen.

Mit Härte, Wucht und körperhafter Präsenz kommen in den 1960er-Jahren in abstrahierenden Formen Keile, Balken, Gelenke in scharfer plastischer Ausprägung zur Darstellung. Diese Arbeiten präsentiert er 1965 in seiner zweiten Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim.


Ausstellung 1965 in der Kunsthalle Mannheim. Foto: Kunsthalle MA

Menschen- und Kopfbilder

In den 1970er Jahren kehrt dann das Bild des Menschen in sein Werk zurück, insbesondere als Kopf-Bild. In expressiver Weise – er bezeichnet seinen Malstil selbst als „neuen Expressionismus“ – er deformiert Köpfe, arbeitete mit Spiegeleffekten sowie Collage-Elementen.


Die Ausstellung 1980 im Rosengarten erstreckte sich über alle Stockwerke. Foto: MARCHIVUM NL Graeder

Diese Arbeiten werden 1980 in der Kunsthalle und im Rosengarten präsentiert, Joachim Heusinger von Waldegg beschrieb sie als „Porträts, gesehen aus einem deutschen Blickwinkel, voller Konflikte und Widersprüche und geschaffen im Vertrauen auf die versöhnliche Kraft der ‚Natur‘".

Dias und Projektionen

Diafilm war in den 1970/80er Jahren ein hochinteressantes, angesagtes Medium. Es war für viele Künstler ein Experimentierfeld, wie es das Filmnegativ für die Film-Avantgarde in den 1920er-Jahren war. Wie Graeder dazu kommt, dieses Material zu nutzen, wissen wir nicht, aber er hat es künstlerisch bis an die Grenze seiner Möglichkeiten ausgereizt.

Im Format von 4 x 4 Zentimetern entstehen eigenständige Arbeiten: Collagen, in denen er Bilder aus kleinen Folienteilen zusammensetzt, farbige Folien übereinander klebt, auf die Folien mit Tusche zeichnet. Er projiziert diese Arbeiten, schneidet die neuen Dias zurecht, färbt sie ein, projiziert sie erneut, z. B. auf einen dreidimensionalen Hintergrund und fotografiert es wieder als Dia ...

Graeder Dias

Das ganze Experiment gipfelt 1981 in einem Lichthappening in Zusammenarbeit mit dem damals noch jungen Fotografen Horst Hamann, bei dem die Dias auf den Wasserturm – Mannheims zentrales Wahrzeichen – projiziert werden.

Re-Visionen

Hans Graeder ist 71 Jahre alt, als er das Prinzip der Collage entscheidend abändert: Die Vorlagen sind seine eigenen Bilder! Er zerschneidet alte Arbeiten aus verschiedenen Werkphasen und neue Arbeiten in Längsstreifen und klebt sie auf sehr großformatige, ungerahmte Leinwände zusammen. Dieses Prinzip wendet er auch in seinen Dias an. Die Ausschnitte aus seinen Arbeiten werden zu Fragmenten und verschmelzen in eine neue Bildstruktur. Diese Arbeiten nennt er Re-Visionen und stellt sie 1990 in der Kunsthalle Mannheim und im Rosengarten Mannheim aus.

"Er erreicht damit nicht nur eine Verschränkung der verschiedenen Bildräume, sondern zugleich auch die Projektion verschiedener Zeiträume seiner eigenen Biographie hinein ins Heute." (Dr. Jochen Kronjäger)



Hans Graeder vor einer Arbeit aus der Serie "Re-Visionen", ca. 1889. Foto: KNMA

In den Arbeiten kritisierte er vor allem die Position und das Verhalten der Menschen in Politik, Gesellschaft und in den Medien. Seine Sicht der Dinge war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geschärft durch seine Arbeitsbedingungen: In seinem 14 qm großen Kelleratelier hat er nicht nur – so der Mannheimer Architekt Helmut Striffler – „viele seiner Jahre wie ein Lebenslänglicher investiert“, sondern zugleich einen immensen Spielraum an Freiheit entwickelt.

Graeder war auch außerhalb Mannheims bekannt und erfolgreich: 1978 erhält er die Bronzemedaille der Polnischen UNESCO-Kommission für Bildende Künste und 1980 die Medaille des polnischen Kultusministeriums; 1982 ist er mit seinem Bild „Resurrected“ in einer Begleitausstellung zur documenta 7 – „Das Abendmahl in der Kunst der Gegenwart“ – in der Alten Brüderkirche Kassel vertreten.

Silvia Köhler



  • 1988 Daimler-Benz AG, Mannheim (E)
  • 1987 Kunstkreis Lauda-Königshofen (E)
  • 1984 VHS Mannheim und Galerie O.G. und G. Zimmermann, Mannheim (E)
  • 1981 Collini-Center Mannheim, Galerie "das auge", Lauda (E)
  • 1980 Kunsthalle Mannheim und Rosengarten Mannheim (E)
  • 1977 Bürgermeister Ludwig-Reichert-Haus, Ludwigshafen und Galerie Hassbecker, Eberbach (E)
  • 1976 Art Gallery im Collini-Center und Heidelberger Kunstverein (E)
  • 1965 Kunsthalle Mannheim (E)
  • 1963 Scottsdale Art Assocation, Arizona (E)
  • 1961 Art Gallery Phoenix, Arizona (E)
  • 1955 Burpee Art Gallery, Rockford, Illinois (E)
  • 1948 Schloß Mannheim (E)
  • 1947 Kunsthalle Mannheim (E)
  • Heinz Fuchs, Hans Graeder, in: Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim, 18.9. - 17.10.1965
  • Hans Gercke, Hans Grader in: Faltblatt zu Ausstellung des Heidelberger Kunstvereins im Amerikahaus Heidelberg, 7.9. - 24.9.1976
  • Manfred Fath, Hans Graeder in: Katalog zur Ausstellung Bürgermeister Ludwig-Reichert-Haus, Ludwigshafen, 1977.
  • Joachim Heusinger von Waldegg, Hans Graeder, in: Katalog zur Ausstellung "Malerei" 1947 - 1979 im Rosengarten und Kunsthalle Mannheim, 16.7. - 30.7.1980
  • Kunsthalle Mannheim
  • 15 Wandbilder (Mosaik) Dell E. Webb Building Phoenix, Arizona
  • Wandbild aus Beton Ocean House San Diego, Kalifornien
  • Installation im Bildungs- und Technologiezentrum der Handwerkskammer Mannheim
  • Brunnenplastik Süddeutsche Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft Mannheim
  • 1978 Bronzemedaille der Polinischen UNESCO-Kommission für Bildende Künste
  • 1980 Medaille des polnischen Kultusministeriums
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