Biografisches
Peter Schnatz ist am 28.07.1940 in Ebringen bei Freiburg geboren, sein Vater ist Kaufmann, stirbt aber schon 1941 zu Beginn des Frankreichfeldzuges. Die Mutter zieht dann mit ihm und den älteren Brüdern (Jahrgang 1935 und 1937) nach Mülheim/Baden.
Peter Schnatz besucht die Waldorf-Schule in Freiburg, wohin er schon mit 13 Jahren zieht. 1955 beginnt er eine Lehre als Schaufensterdekorateur, wohl ein Kompromiss aus den schon vorhandenen künstlerischen Neigungen und dem Wunsch der Familie nach Sicherheit.
Peter Schnatz, 1970. Foto: MARCHIVUM
Anfänge in Mannheim
Nach der Lehre geht er 1958 nach Mannheim, um an der Freien Kunstakademie zu studieren. Bis 1962 ist er Schüler von Paul Berger-Bergner, der ja eine ganze Generation von Künstlern unterrichtete und prägte. In dieser Zeit lebt er im Kolpinghaus und hat erst ab 1965 eine eigene Wohnung in der Neckarstadt in Mannheim.
Peter Schnatz (Mitte) im Gespräch mit Paul Berger-Bergner (rechts) an der Freien Akademie Mannheim, ca. 1960. Foto: MARCHIVUM
Ab den späten 1960-er Jahren beginnt sein Erfolg als Künstler:: Er hat erste Ausstellungen, u. a. in der Kunsthalle Mannheim, er erhält 1969 den Hans-Purrmann-Preis der Stadt Speyer, ein Stipendium des Landes Baden-Württemberg für die Cité internationale des arts in Paris (1970/71) und eine Goldmedaille für Malerei in Toulon (1979).
Kulturpolitisches Interesse
In den 1980erJahren gehört Peter Schnatz mit Gerd Lind bundeweit zu den Mitbegründern der Künstlersozialkasse (1983), die beiden sind auch Wegbereiter für die Gründung des BBK Mannheim, der bis heute auch mit der Druckwerkstatt und Kunstkursen Mannheim Künstlerinnen und Künstlern ein weiteres Standbein gibt. Schnatz ist auch bei der Gründung der Freien Kunstakademie Mannheim beteiligt. Er stirbt am 14.10.2004 in Mannheim durch Freitod.
Künstlerisches Werk
In den frühen 1960er-Jahren entwickelt er einen leicht abstrahierenden, sanften Stil. Die häufig in dunklen, erdigen Tönen gehaltenen Werke enthalten oft geometrische Elemente wie die Kreisform. Manchmal ist sie eindeutig als Sonne oder Mond zu verstehen, lassen sich die parallel angeordneten Streifen als Wolkenbänder oder als Grenze zwischen Himmel und Erde lesen.
Komposition, 1963. Öl auf Sperrholz, 66 x 93 cm.
Die Neo-Ikonen
Neo-Ikone, frühe 1960er Jahre. Acryl auf Holz, 30 x 20 x 2 cm.
Eine neue Bildgattung entwickelt Peter Schnatz in den frühen 1960er-Jahren: Die Neo-Ikone. Er nutzt das bekannte alte Schema der Ikone, des Heiligenbildes der Ostkirche: Abstrahierte Formen, wie in diesem Beispiel, auch geometrische, werden in Acryl auf Blattgold auf Holz aufgetragen.
Schnatz bezieht sich hier auf Kasimir Malewitsch und sein "Schwarzes Quadrat" von 1915, das dieser wie eine Ikone oben in die Raumecke des Ausstellungraumes hängt und somit die erste abstrakte Ikone schafft. Auch bei Schnatz spielt die Nichtfarbe der Farben eine große Rolle.
Einflüsse Francis Bacon und Henry Moore
Peter Schnatz' Stil in dieser Zeit ändert sich, wird zunehmend geprägt durch die internationale Kunst der Zeit wie etwa durch Francis Bacon, der 1962 seine erste europäische Einzelausstellung in der Kunsthalle Mannheim hat und dessen Werk Schnatz sehr beeindruckt.
Auch Henry Moore und seine Erfindungen in Plastik und Skulptur der 1950er-Jahre liefern hier die bestimmenden Versatzstücke für die Malerei von Peter Schnatz. Beispielsweise scheint die scherenartige Form rechts im "Lackbild" von 1966 der Reclining Figure (1951) entnommen, die bei Moore den Kopf vertritt.
Lackbild, 1966. Lack auf Hartfaserplatte, 180 x 150 cm.
Einflüsse Pop Art und Grafikdesign
Eine neue Werkgruppe kommt 1968 auf, nun deutlich beeinflusst von der Pop Art, aber auch vom Grafikdesign jener Jahre. Seine Beschäftigung mit Werbung ist nur kritisch denkbar.
666, 1969. Mischtechnik auf Leinwand, 120 x 140 cm. Foto: Staatsgalerie Stuttgart
In der obigen Arbeit 666 von 1969 werden lebendige, popartige Farben und Formen kombiniert mit an Konstruktionszeichnungen erinnernde, gestrichelte Linien vor heftigem Schwarz.
Wie aus dem Nichts kommt der rosafarbene Balken, der in der Geste des breiten Pinsels ausläuft und die an eine menschliche Figur erinnernden Formen wegzustoßen scheint. In ihrer Mitte dann die Kombination aus rotweißen Streifen, in die titelgebend 666 aufschabloniert ist, und der großen informellen Farbgeste, gekrönt von etwas Dripping – einerseits also die geometrischen Formbegrenzungen, kombiniert mit den fast versteckten Linienmustern, andererseits der Mut zur freien Leinwandfläche und zu starker Bewegung in der Gebärde.
Der Hölzerlips-Zyklus
Der Hölzerlips-Zyklus ist eine typische Serie dieser Zeit, die sich mit den Nichtsesshaften des frühen 19. Jahrhunderts befasst.
schnatz - hölzerlips
In zehn großformatigen Gemälden, fünf Siebdrucken und zwei nicht erhaltenen Objekten setzt sich der Künstler mit dem Thema der Vagabunden auseinander, die außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft standen. Peter Schnatz gestaltete die Arbeiten in einer Mischung aus der Malerei der Pop Art und dem Grafikdesign. Gerade die Typographie, ein wichtiges Gestaltungsmittel jener Jahre, half dem Künstler, sich von der reinen Malerei abzulösen, der diese Künstlergeneration zutiefst misstrauisch gegenüberstand.
Selbstporträts
Selbst am 22.4.75, 1975. Collage, Mischtechnik auf Papier, 50 x 40 cm.
In diese Zeit fällt auch das berühmte Selbstporträt, (PSCH_0160: Selbst am 22.4.75). Dazu schreibt Schnatz: "Mein Selbstbildnis zeigt den Menschen 'Schnatz' als Maler und als Kartei-Nummer. Die Abhängigkeit von gesellschaftlichen Zwängen bleibt auch dem 'freien' Künstler nicht erspart, er kann sie aber aufzeigen und wenigstens ästhetisch eine Lösung anstreben!"
Die Selbstanalyse wird zur Zeitdokumentation. Zu sehen ist das Selbstporträt im Stile der Hölzerlips-Banden-Porträts, sprich er stellt sich selbst als Gefährten der Räuber dar. Dazu passt auch das Fadenkreuz, in dem das Gesicht gestellt ist, samt dem auslöschenden X, das in Zukunft sehr häufig auf Gemälden von Peter Schnatz auftaucht.
Die Tageskreuze
Nach dieser für den Künstler sehr erfolgreichen Zeit kommt durch eine existenzielle Krise im Winter 1976/1977. Schnatz meister sie nur dadurch, dass er jeden Tag eine kleine Leinwand richtet, das Datum darauf schreibt, den Stand des Mondes dokumentiert und den Tag, das Datum sozusagen mit einem Kreuz ausstreicht. Das ist der Beginn seiner Tageskreuz-Serie.
Tageskreuz 4.12.76, 1976. Acryl auf Leinwand und Holz, 18 x 22 x2 cm.
Das hier gezeigte Bild stammt vom 4.12.76 (PSCH_0126), das ist der ausgeixte, der durchgestrichene Tag, ein weiterer Tag, den der Künstler erfolgreich hinter sich gebracht hat, den er löschen konnte, wie ein Gefangener an seiner Zellenwand.
Zeitzeugen berichten, dass der Künstler diesen Vorgang jeden Tag wiederholen musste, sonst galt es nicht, sein Versprechen an sich selbst und eine über ihm stehende Macht wäre sonst gebrochen worden. Dieser Akt hatte also etwas Magisches an sich. Künstlerisch erinnert er an die konzeptuellen Aktionen von On Kawara, der in den 1960er- und 1970er-Jahren Postkarten an Eingeweihte schrieb, die entweder nur besagten "I got up" (Ich bin aufgestanden) oder "I am still alive" (Ich lebe noch). Präzise mit Uhrzeit und Datum versehen, sind sie quasi eine Lebensversicherung, also ein Akt, in dem sich der Künstler selbst versichert, dass er noch lebt. Auch On Kawara hatte die magische Angewohnheit, dass er vor 24 Uhr ausgeführt sein musste, sonst galt es nicht. Und genau darum geht es auch Peter Schnatz.
Madonnenbilder
Ein Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg 1979 ermöglicht dem fast 40-jährigen Künstler eine Beschäftigung ganz anderer Art: Peter Schnatz konnte dadurch unbeschwert reisen und sich mit der alten Malerei auseinandersetzen. Sein Ausgangspunkt war das Kölner Wallraf-Richartz-Museum, in dem er zahlreiche Madonnenbilder aus dem 15. und 16. Jahrhundert sah, die ihn anregten, sich vor allem mit dem Kind, der Haut des Kindes vor farbigen Hintergründen zu beschäftigen.
Memling (Detail), 1979. Acryl auf Leinwand, 140 x 120 cm.
Im selben Jahr beginnt Peter Schnatz, große Zeichnungen nackter, hungernder Kinder auf Packpapier anzulegen. Auch daraus wird eine Serie, die bis ins Jahr 1985 reicht, gegen Ende dann einfach Mädchenkörper. Aber die collagierten Bleistiftzeichnungen, mit Klebeband und den beliebten Tageskreuzen versehen, haben ob der Magerkeit, ja Dürre der Jungen und Mädchen eine existenzialistische Kraft. Der Tod scheint nah, auch die Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg und den folgenden Kämpfen um Kambodscha ist virulent bei einem politisch interessierten und engagierten Künstler.
Ein Mädchen aus Kambodscha, 1979. Mischtechnik auf Packpapier, 68 x 48 cm.
Haut und Erdhaut
Von 1986 stammt die erste schwarze, Haut betitelte Leinwand, der eine Serie bis 1990 folgt.
Haut, 1988/89. Mischtechnik auf Leinwand, 110 x 100 cm.
In einem Film aus dieser Zeit ist eindrücklich zu sehen, wie Schnatz bei der Arbeit vorgeht: Auf die grundierte Leinwand trägt er zunächst in kräftigen, rhythmischen Bewegungen verschiedene Farben auf, die dann nach und nach mit Schwarz überdeckt. Das können Acryl, Lack, aber auch Farbspray sein. Nach und nach werden so schrundige, dreidimensional wirkende Farbanhäufungen aufgetragen, die jedoch immer wieder die zugrunde liegenden Farben verraten. Auf diese Art und Weise verlässt Peter Schnatz die "heilige Farbe der Abstrakten Expressionisten" (David Sylvester) und begründet sein eigenes Bildthema.
Mit Haut ist natürlich zuerst die Tierhaut angesprochen, deren Form der Künstler ja auch anlegt. Aber dann wird durch den gestischen Farbauftrag, den sichtbaren Malvorgang, die Strukturhaftigkeit der Oberfläche das ursprüngliche Thema verlassen, der Verlust des Gegenstandes wird als Verlust des Ichs gefeiert. Die allenthalben vorlugenden roten Farbspuren tun ihren Teil dazu, dass Blut und Tod mitgedacht werden.
Erdhaut, 1991, Mischtechnik auf Büttenpapier, 107 x 78 cm.
In der folgenden Serie, die Erdhaut betitelt und zum Teil auf Bütten angelegt ist, nehmen Zerstörung und notdürftige Wiederherstellung großen Raum ein. Die reine Maloberfläche bricht auf, wird aufgerissen, zerstört und dann wieder wie archaisch zusammengenäht. Wie apokalyptische Landschaften scheinen sie uns, verstärkt durch die Anmutung eines türkisfarbenen Himmels, wie fremde Werke einer zerstörten Zeit.
Reisen
Provence, 1995. Mischtechnik auf Sackleinen, 80 x 60cm.
Wie häufig bei einem Wechsel der Werkgruppen war eine Reise der Auslöser: 1994 hielt sich Peter Schnatz in Roussillon, einem provenzalischen Dorf auf, das berühmt ist für seinen Ockerabbau. Der Künstler nahm viele Proben davon mit und nutzte das Material als Grundlage für seine Malerei.
Hier passiert es einfach, dass unter gleißender Sonne und blauem Himmel das Schwarz sich verzog und alle Farben in ganzer Leuchtkraft zum Einsatz kamen. Schnatz nutzt Sackleinen, um die Struktur seiner Malflächen an die Umgebung zu anzupassen, im Wechsel zu feinem Federleinen. Pastos trägt er die Farbe im Regenbogenschema auf, überbrückt von einem aus dem Sackleinen hängenden Kabel, das Energieströme symbolisiert.
Im Herbst 1995 verbrachte Peter Schnatz ein paar Tage in der Toskana und begann sich künstlerisch mit Ölbäumen zu beschäftigen.
Ölbaum, 1996. Mischtechnik auf Sackleinen, 150 x 120 cm.
Beeindruckt von der Knorrigkeit alter Ölbäume versucht er, sie auf Papier und Leinwand zu erfassen. Die Arbeiten auf Bütten stellen den schwarzen Baum vor einen grüngelben Himmel, die Zweige und Blätter werden angedeutet durch rasende Farbspuren. Peter Schnatz entwirft in Acryl auf Bütten rasche Notate und taucht dann vollständig ein in eine üppige Farbgebung; das silberne Flirren der Olivenblätter vor gelbem Himmel, die schwarze Dichte in seinen fast lebensgroßen Stämmen, verbindet der Künstler in Öl mit Sand.
Peter Schnatz stirbt am 14.10.2004.
[Text: Susanne Kaeppele, Fotos: KNMA/ Schröder, MARCHIVUM Mannheim NL BN]
- 2000 Galerie Josef Nisters, Speyer; Galerie Artec Nr.1, Mannheim
- 1999 Galerie Ars Videre, Bellheim
- 1998 Kunst im Amtsgericht, Schwetzingen
- 1996 Kunsthalle Mannheim
- 1995 Galerie Stübler, Hannover
- 1993 Villa Meixner, Brühl / Baden-Württemberg
- 1990 Werkstattgalerie Heidelberg (zusammen mit Edgar Schmandt)
- 1988 Galerie Stübler, Hannover
- 1986 Galerie O.G. Zimmermann, Mannheim
- 1985 Galerie Stübler, Hofheim a.Ts
- 1984 Kunstverein Schwetzingen
- 1982 Haus der Kunststiftung Baden-Württemberg, Stuttgart; Zehnthaus Jockgrim
- 1981 Kunsthalle Mannheim
- 1980 Hölzerlips-Zyklus in Hemsbach / Bergstraße
- 1979 Kunstverein Bruchsal; Galerie "Alt Frankenthal", Frankenthal
- 1978 Galerie Valle, Weisenheim
- 1977 Die Galerie (Bausback), Mannheim; Galerie Holz, Mannheim
- 1976 Ausstellungsraum der Stadt Mainz
- 1975 Galerie Holz, Mannheim
- 1974 Die Galerie (Bausback), Mannheim
- 1972 Tangente Mainz
- 1971 Cité Internationale des Arts, Paris; Kunsthalle Mannheim
- 1969 Galerie im Schloß, Darmstadt; Kunstverein Speyer
- 1968 Galerie Tangente, Stuttgart
- 1967 Galerie T, Heidelberg, Freiburg / Breisgau und Tübingen
- 1966 Galerie Tangente, Mannheim
- 1963 Galerie im Theater, Mannheim
- 1962 Damm 17, Mannheim
- Siegfried Gerth, Jochen Kronjäger und Werner Marx, Katalog „Peter Schnatz – Gemäldezyklen“ zur Ausstellung 1996 in der Kunsthalle Mannheim
- Werner Marx, Katalog "Haut"-Bilder von 1988 bis 1991, 1991
- Werner Marx, Katalog "Grenzmarken", Kunstverein Landau, 1990
- Werner Marx, Kunstzeitschrift "Passagen", 1988
- Ursula Lind-Pawlak, Katalog Peter Schnatz, Kunstverein Schwetzingen 1984
- Heinz Fuchs, Katalog Peter Schnatz, Kunsthalle Mannheim 1971
- Regierungspräsidium Karlsruhe
- Kunsthalle Mannheim
- Geschwister-Scholl-Schule Mannheim-Vogelstang
- Carl-Benz-Schule Mannheim-Neckarstadt
- Hallenbad Mannheim-Neckarau
- Nachbarschaftshaus Mannheim-Rheinau
- Stadt Speyer
- Staatsgalerie Stuttgart
- Kunstkreis Südliche Bergstraße, Wiesloch
- 1980 Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg
- 1979 Goldmedaille für Malerei, Toulon
- 1970/71 Stipendium für die Cité Internationale des Arts, Paris
- 1969 Hans-Purrmann-Preis der Stadt Speyer
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